Was wäre, wenn? Über Mitläufer und Widerständler

protestEine neue, interessante Frage ist in meinem Blog eingegangen, die ich mir selbst auch schon öfter gestellt habe. Ich wurde gefragt, wie ich mich heute verhielte, wenn sich die Geschehnisse wie in der Nazizeit wiederholen würden; mit meiner eigenen Geschichte, mit meinen Erlebnissen als Zeitzeugin und dem Wissen über das, was damals passiert ist, wie es anfing und was daraus wurde.

Ein Blick in die Slowakei

Die heutige Zeit ist nicht mit damals zu vergleichen. Eine 19-jährige Slowakin ist beispielsweise derzeit in der Lage, zigtausend Menschen zum Protest gegen die Regierung zu mobilisieren. Das Internet macht so etwas möglich, und würde die Regierung etwas gegen die mutige junge Frau unternehmen, würde innert kürzester Zeit die ganze Welt davon wissen. Das kann sich die slowakische Regierung nicht leisten. Deshalb wäre einiges sicherlich anders. Wenn also heute wieder so etwas geschähe, wie würde ich mich verhalten? Ich will es mir nicht einfach machen und sagen: „Klar, ich würde Widerstand leisten.“ Die Schuld, die sich Mitläufer in der Nazizeit aufgeladen haben, wurde mir durch Geburt und Abstammung erspart. Ich bin dankbar, dass ich nicht in Versuchung geriet, schuldig zu werden.

Verantwortung: Nur für mich oder auch für andere?

Damals, als es das Internet und die sozialen Medien noch nicht gab, konnte man Nachrichten leichter unterdrücken, man hat einfach die Menschen verschwinden lassen. Selbst der Kauf ausländischer Zeitungen war gefährlich – davon habe ich euch schon berichtet. Ich selbst war damals ein begeisterungsfähiger junger Mensch ohne Lebenserfahrung. Wenn ich in die Propagandamühlen des 3. Reiches geraten wäre – ich weiss nicht, ob ich nicht auch mitgemacht hätte. Wäre ich damals älter gewesen, mit eigener Weltanschauung, ledig und nur für mich selbst verantwortlich, hätte ich vermutlich beschlossen, Widerstand zu leisten. Als Mutter von zwei unmündigen Kindern hingegen hätte ich mir wahrscheinlich sehr genau überlegt, ob ich mein Leben und damit auch die Versorgung meiner Kinder aufs Spiel setzen wollte. Meine Mutter war eine sehr tapfere Frau, die uns nichts von dem verschwieg, was sie wusste. Etwa, dass eine Nachbarin ins Konzentrationslager kam; sie hatte in einem Geschäft einen harmlosen Witz über die Nazis erzählt, wurde denunziert und kam nach Dachau. Es ist heute wohl schwer vorstellbar, wie man damals Menschen mundtot gemacht hat.

Nichts mehr zu verlieren

Heute, in meinem Alter, schweige ich nicht, wenn ich ein Unrecht sehe. Ich habe auch nichts mehr zu verlieren. Meine Kinder sind erwachsen und ich bin eigentlich nur noch für mich verantwortlich. Meine Tage sind gezählt; da ist es einfach, ein Held zu sein. Damals war das anders. Jungen Menschen habe ich es nie verübelt, dass sie das Hitlerregime aktiv unterstützt haben. Aber die von 30 Jahren aufwärts kann ich für aktives Mitmachen der Naziverbrechen nicht ohne weiteres freisprechen.

Was haben wir daraus gelernt?

Wenn ich die Frage, die mir gestellt wurde, größer fasse, wird aus „Wie würdest du dich heute verhalten?“ die Frage „Was hast du aus der Vergangenheit gelernt?“ – oder sogar „Was hat die Menschheit aus der Vergangenheit gelernt?“ Nun, sie hat leider nichts gelernt, wie wir alle sehen. Die Unrechtsregimes gibt es immer noch, und die Unterdrückung und das Morden gehen weiter.

Eine traurige Bilanz. Wie geht es euch: Habt ihr die Hoffnung, dass sich etwas zum Positiven verändert?

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