Ein zweites uneheliches Kind

babyschuheMeine biologische Uhr tickte. Ich war 36 Jahre alt, mein Sohn war 11 und ich wollte noch ein Kind, aber einiges sprach dagegen: Ich hatte nicht den entsprechenden Partner, gesundheitlich hätte ich Schaden nehmen und mein Einkommen sich verringern können. Also musste ich wissen, ob mir das Glück eines zweiten Kindes so viel bedeutete, dass ich gegebenenfalls bereit wäre, auf vieles zu verzichten. Dem ging ich auf den Grund.

Worauf kann ich verzichten?

Ich hatte mir einen gewissen Lebensstandard angewöhnt, trug elegante Kleider und wohnte auf Reisen in sehr guten Hotels, kurzum – ich konnte mir vieles leisten. Ein Jahr lang schaute ich mir immer wieder die schönen Auslagen der Bahnhofstrassegeschäfte an und sagte mir, dass ich mir von dem, was ein Kind im Jahr kostet, das alles leisten könnte. Gleichzeitig senkte ich meinen Lebensstandard, kaufte billige Kleider, wohnte in den einfachsten Hotels und ass sehr bescheiden. Gemessen am Glück eines weiteren Kindes bedeutete mir der Luxus nichts mehr. Auch die Frage, ob es für die Kinder zumutbar wäre, ohne Vater aufzuwachsen stellte ich mir. Aber viele Kinder wachsen ohne Väter auf. In den Sechziger Jahren war ein uneheliches Kind für viele ein Problem. Um nicht in den Verdacht zu geraten, es handle sich um, wie man es damals nannte, einen „Verkehrsunfall“,  erzählte ich meinen Kunden von meinem Vorhaben. Wenn sie dann verschämt auf meinen Bauch schauten, lachte ich und sagte: „Soweit ist es noch nicht.“

Das schönste Weihnachtsgeschenk

Als ich mit all dem im Reinen war, stellte sich die Frage nach dem potentiellen Vater. Und siehe da, ich traf einen Mann, der mir irgendwie vertraut war, so wie damals, als ich den Vater meines Sohnes kennen lernte. Schwanger werden war gar nicht so einfach. Ich wollte nicht im Grossmutteralter mit meinem Kind zu Konfirmation gehen und gab mir noch bis zum Jahresende – aber zu guter Letzt klappte es. Als ich meinem Sohn unter dem Christbaum sagte, dass er ein Geschwisterchen bekäme, war seine Reaktion: „Dies ist mein schönstes Weihnachtsgeschenk, das muss eine Claudia werden.“ Meine Kunden und Lieferanten reagierten erstaunlich positiv, und ich konnte sogar meine geplanten Kundenbesuche noch machen, bis Claudia dann zwei Wochen nach dem berechneten Termin gesund auf die Welt kam. „Ist die schön!“ sagte mein Sohn bewundernd und zeigte einmal mehr, dass die Liebe alles verschönt.

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5 Kommentare zu “Ein zweites uneheliches Kind

  1. Liebe Verena,
    Du hast wirklich eine besondere Gabe zu schreiben. Du hast so viele Bücher in Deinen Händen gehabt und auch so viele verkauft. Vieleicht solltest Du den Blog und diese Themen in Buchform bringen. Modern wie Du bist, sicherlich auch als e-book und mit den bereits verwendeten Bildern/illustrationen.
    Mit jedem Menschen aus Deiner Generation geht auch die Erinnerung verloren wie diese Zeiten damals waren.
    Die Weisheit des Alters und die zeitliche Distanz zum Erlebnis an sich bringen bei Dir eine Tiefe und Weite der Aussagen und Einsichten, die wirklich wertvoll sind und keineswegs alter Kram.
    Sende Dir Dankbarkeit und alles Gute!
    Gerhard

  2. Hallo Verena
    Ich bewundere dich wie du das alles geschaft hast. Hut ab, aber wie du mir gesagt hast du musst es auch wollen und immer positiev dahinterstehn. Danke Verena

  3. Liebe Verena, du bist sehr mutig- und dies für die damalige Zeit!
    Claudia- so heißt auch meine Lieblingscousine- welch schöner Name.
    Die Reaktion deines Sohnes ist einfach ein Geschenk. Danke, dass du dies mit uns teilst.
    Alles Liebe dir.
    Ursula

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