Die Frage erreichte mich, wie ich als Tochter eines Kaufmanns Bauernmagd wurde – das will ich gern erzählen:
Den Wunsch hatte ich schon sehr früh. Mit sechs Jahren, nach einer schweren Kinderkrankheit, durfte ich zur Erholung auf einen Bauernhof. Dort fühlte ich mich so wohl, dass ich nur noch Bäuerin werden wollte. Ich liebte das Landleben. Schon während meiner Schulzeit verbrachte ich die freien Tage auf dem Bauernhof und half überall mit, wo ich nützlich war.
Schulabschluss von den Nazis verweigert
Dann kamen der Krieg und die Judenverfolgung. Obwohl mein Vater und seine Eltern längst getauft waren, galten sie als Juden. Meine Mutter war „arisch“; somit waren meine Geschwister und ich Mischlinge ersten Grades. Die Nürnberger Gesetze verboten uns den Besuch einer höheren Schule und so musste ich die Schule nach der 7.Klasse verlassen. Was lag nun näher, als eine landwirtschaftliche Lehre zu machen und mir meinen lang gehegten Wunsch zu erfüllen.
Zum Lebensunterhalt beitragen
Meine Familie profitierte ebenfalls davon, denn ich kam nie ohne Lebensmittel nach Hause. Drei Jahre arbeitete ich auf dem Hof. Aus „rassischen Gründen“ war es mir verwehrt, eine Berufsschule zu besuchen oder gar einen Abschluss zu machen. Als der Krieg zu Ende war, verschaffte mir mein Vater eine Stelle in der Schweiz als Melkerin, und so hatte ich in einer Zeit, in der es in Deutschland fast noch weniger zu essen gab als im Krieg, einen Beruf, der meinen Lebensunterhalt sicherte und mir zugleich ermöglichte, meiner Mutter und den Geschwistern Lebensmittelpakete zu finanzieren.
Staatlich geprĂĽfte Landwirtin
Bald darauf verlobte ich mich mit einem Arbeitskollegen. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass ich ihn heiraten müsste. Er brauchte eine Frau, die richtig zupacken konnte, und mit der er den elterlichen Bauernhof übernehmen würde. Meine Eltern waren jedoch nicht damit einverstanden und ermutigten mich zu einer Ausbildung, die ja nun möglich wurde. So kehrte ich 1949 nach Deutschland zurück und besuchte die Höhere Landbauschule in Michelstadt im Odenwald. Da ich ohne Schulabschluss die Aufnahmebedingungen nicht erfüllte, war ich anfangs nur Gasthörerin. Drei Tage vor dem Staatsexamen sprach ich im zuständigen Ministerium vor und bat um reguläre Aufnahme. Sie wurde mir auf Grund der rassistischen Verfolgung, die ich durchgemacht hatte, gewährt, und ich konnte an der Prüfung teilnehmen und meinen Abschluss als staatlich geprüfter Landwirt erwerben.
Auch als ich später einen anderen Berufsweg einschlug, ist mir die Liebe zum Landleben geblieben. Das Leben in und mit der Natur im Rhythmus der Jahreszeiten ist etwas Wundervolles.
Natürlich haben sich das Berufsbild und der Alltag der Bauern völlig verändert und industrialisiert. Ich bin mir nicht sicher, ob ich damit heute noch glücklich wäre.
Vielen Dank fuer die interessante Familiegeschichten zu erzaehlen.