Vor einigen Wochen hat die Türkei gewählt, Erdogan hat die ganze Macht, und die befürchteten Folgen werden Realität, wie wir fast täglich durch neue Meldungen erfahren. Wie konnte es soweit überhaupt kommen? fragt man sich. Die ganze Wahl erinnert mich an meine Kindheit, denn die Skrupellosigkeit der türkischen Regierung lässt ein Klima entstehen, wie es damals Hitler erzeugt hatte, um seine zerstörerische Macht auszuüben. Und dann gibt es natürlich noch die Günstlinge und Profiteure des Regimes und ich frage mich immer wieder, ob nicht etwa Waffenlobby und Hochfinanz häufig die eigentlichen Drahtzieher sind. Denn wie soll es sonst möglich sein, dass ein einzelner Mensch so viel Macht erringt?
Ein Klima der Angst
Ich sehe noch wie heute vor mir, wie meine schwer gehbehinderte Grossmutter väterlicherseits von Sanitätern abgeholt wurde und zur Wahlurne gebracht wurde. Ich spüre heute noch die Angst und die herrschende Unsicherheit, die eigene Meinung zu äussern. Man glaubte sich selbst in den Abstimmungskabinen bespitzelt. Wer hatte schon den Mut, sich aufzulehnen? Schliesslich hatte man Familie, für die man verantwortlich war. Wenn mein Vater ausländische Zeitungen kaufte, klebte er sie unter der Esstischplatte fest, bis er sie entsorgte, damit sie im Falle einer Hausdurchsuchung nicht entdeckt wurden. So war die Angst unser täglicher Begleiter.
Die Familie nicht in Gefahr bringen
Ich habe auch Verständnis für die, die sich zurückhalten. Ich habe erlebt, dass katholische Geistliche im Dritten Reich sehr viel mutiger waren, sehr viel mehr riskierten als evangelische Pfarrer, die für eine Familie zu sorgen hatten. Es ist nicht leicht, heldenhaft gegen ein Regime aufzustehen, wenn darunter Unbeteiligte, Unschuldige zu leiden haben.
Angst und Courage – ein schwieriges Thema. Wo sind Grenzen? Was kann ich mir und meinen Lieben zumuten? – Ich wäre sehr gespannt, zu erfahren, wie ihr darüber denkt.