In der Schweiz gibt es ein vernünftiges Gesetz: Ab 70 muss man, um seinen Führerschein zu behalten, alle zwei Jahre zur ärztlichen Kontrolle. Bei mir stellte der Arzt den grauen Star fest, und der Führerschein war weg. Ich war meinem Arzt nicht böse – im Gegenteil: Ich bedankte mich bei ihm, denn er hatte mich auf die Sehschwäche aufmerksam gemacht, die mir entgangen war. Also liess ich mich operieren, und nach einer neuerlichen Kontrolle bekam ich meinen Führerschein zurück. Ich habe ihn heute noch, muss jetzt jährlich zur Kontrolle. Aber, ich fahre nicht mehr viel, nur die wöchentlichen Grosseinkäufe für die Familie mache ich noch mit dem Auto. In meinem Alter muss man auch nicht mehr so viel herumfahren, finde ich.
Nicht drum herum reden: Alt werden ist spürbar
Ich bin jetzt 88 Jahre alt. Ich spüre sehr wohl, was sich gegenüber früher verändert hat. Manches, was früher eine Selbstverständlichkeit war, kann ich heute nicht mehr. Komme ich darauf zu sprechen, antwortet man mir: „Du doch nicht! Das hat ja alles noch lange Zeit!“ Warum gibt man mir solche Antworten? frage ich mich. Ist es eine Form von Höflichkeit, oder ein Ausweichen vor einem unbequemen Thema? Ich antworte dann meistens: „Ich bin doch nicht so blöd, dass ich mein Abbauen nicht selber merke.“
Bescheidener werden – und die Lebensqualität erhalten
Es ist mir lieber ich rede selbst davon, als dass die Leute hinter meinem Rücken über mich sagen, na, die ist auch alt geworden. Mit Gleichaltrigen darüber zu reden ist auch schwierig. Viele Alte reden nur zu gerne über Ihre Beschwerden – das liegt mir nicht. Trotzdem konstatiere ich, dass die Haare grauer und dünner werden und die Zähne, soweit noch vorhanden, auch nicht mehr sind, was sie mal waren. So drastisch wie meine Mutter, die meinte, das Leben sei nur noch halb so schön, seit sie die Dritten habe, will ich es nicht ausdrücken – aber die Prothese ist schon ein Verlust an Lebensqualität. Das Treppensteigen wird mühsamer und beim Bücken und für die Kniebeugen muss ich mich irgendwo festhalten. Man muss bescheidener werden im Alter. Ich unternehme zwar einiges, um fit zu bleiben – aber nicht, um das Leben zu verlängern, sondern um nützlich zu sein, so lange ich hier bin.
Was bringt euch Lebensqualität? Wie erhaltet ihr sie euch?
Hier noch zwei Bücher, die sich mit dem Thema „Älter werden“ beschäftigen:
Ingrid Riedel
Lebensphasen Lebenschancen – Vom gelassenen Umgang mit dem Älterwerden
Katharina Ley
Anders Älter werden – So gelingen die besten Jahre
Liebe Verena,
danke Dir für den wieder so ehrlichen Artikel.
Es sind Lebensphasen und jede hat ihre Schwerpunkte. Das Alter könnte den Schwerpunkt Weisheit haben und früher waren die Alten dafür wert geschätzt. Du lebst das und gibst Weisheit weiter – in einer modernen Form als Blog.
„Altern ist nichts für Weicheier und Jammerer!“ (engl. „Aging is nothing for Whimps!“) sagte letztens ein Amerikanischer Freund der nahe Deinem Alter ist.
Du schreibst auch von der anderen Seite, nämlich daß man dann auch manches einfach nicht mehr machen muss – einer gewissen Erleichterung.
In diesem Zusammenhang finde ich es schrecklich, daß mehr und mehr alte Menschen auch in reichen Ländern noch qualvoll (für den nachlassenden Körper) und in Kündigungsangst arbeiten müssen oder gar betteln und Mülltonnen nach Pfandflaschen durchsuchen müssen. Gerade im Alter braucht man Geld, weil man so auch die nötige Hilfe bekommen kann. Vieles davon funktionierte früher in der Familie ganz selbstverständlich – aber diese Strukturen sind oft weg.
Das ist ein wichtiges Thema – bitte schreib mehr dazu.